WRITING IS MY BUSINESS
JOCHEN RAUSCH ÜBER JÖRG FAUSER
In Wuppertal kannte ich einen, das war in den mittleren 1970ern, der trug Brille und hatte schon mit Dreiundzwanzig eine Glatze. Weshalb ihn alle für einen Intellektuellen hielten. Der gab ein Literaturmagazin heraus. Die Druckmaschine musste ins Wohnzimmer, die passte sonst nirgendwo rein. Es roch da immer nach Papier, Druckerschwärze und Windeln. Sie hatten auch ein Baby, das auf dem Sofa lag und schrie. Nur wenn die Maschine ratterte und das bedruckte Papier ausspuckte, hörte das Baby mit der Schreierei auf. Das Literaturmagazin hieß Literaturmagazin. Da las ich zum ersten Mal was von Fauser. Zwei Gedichte. Montana Wind und Baltimore.
Ich hielt Fauser (1944-1987) für einen Amerikaner. Vielleicht Deutschamerikaner, weil er mit Vornamen Jörg hieß. Aber dann hieß es, Fauser kommt aus Frankfurt und ist der deutsche Bukowski. Bukowski kannte man ja. Sogar solche, die nach Lederstrumpf nichts mehr freiwillig gelesen hatten, grinsten, wenn der Name Bukowski fiel. Dachten, das seien besonders dicke Pornohefte. Nur ohne Fotos. Bukowski war auch bei mir zu Hause. In dem Reihenhaus, wo ich unter dem Dach eine Kammer hatte. Las da alles von Bukowski und war dann in Los Angeles unterwegs, mit lässigen Typen, die Baldy oder Jimmy hießen und was mit Mädchen hatten, die vor Bordellen abhingen und im Sonnenschein mit den Beinen wippten. Sah ich durch die Dachluke, war ich wieder in Wuppertal, bei den Reihenhäusern für Kinderreiche. Dahinter waren noch mehr Reihenhäuser. Die für Kriegsversehrte. Im Winter war es zu kalt und im Sommer zu heiß da oben. An der Wand hing ein Poster aus dem Kicker. Sepp Maier. Jahrelang war ich zu träge, es abzunehmen. Hatte zu tun. Mein Vater hatte mir eine Philicorda-Orgel überlassen, da mein damaliger Berufswunsch Rockstar war. Die Heimorgel jagte ich durch einen Gitarrenverzerrer, wodurch sie zu einem röhrenden Racheengel wurde. Beim Spielen musste ich den Kopf nach hinten halten. Wegen der Dachschräge.
Jahrzehnte später sah ich eine Doku über den längst toten Fauser, da kam die Mutter zu Wort. Sie bewohnte ein Reihenhaus in Frankfurt. An den Wänden Fotos von Jörg. Sah so aus, als hätten die Fausers für ihr Reihenhaus denselben Architekten gehabt wie meine Eltern. Wenn Fauser dann da auch noch Bukowski gelesen hat, dann wäre es perfekt. Das mit Fauser und dem deutschen Bukowski war übrigens längst nicht so falsch wie die Behauptung, die Rattles seien die deutschen Stones. Fauser hat den Bukowski verehrt. Es gibt ein Foto, Bukowski und Fauser, Los Angeles, 1976. Sie halten sich an ihren Gläsern fest und sehen abwesend über den Tresen, als reichte es, zusammen zu schweigen. Seelenverwandte eben. Und als Fauser im Morgengrauen nach seinem dreiundvierzigsten Geburtstag in München über die Autobahn lief, schrieb Bukowski: „Goodbye Joe, gegen einen Truck kommt keiner an!“ Diesen Ton hatte Fauser auch drauf. In jedem Gedicht. Eigentlich hielt man ja nichts von Gedichten. Bis man so was las wie Trotzki, Goethe und das Glück. 1979.
In dem Jahr kam Karol Wojtyla als Papst nach Polen und der Kommunismus bekam die Schwindsucht, während Chomeini nach Teheran flog und den Schah stürzte. Und Fauser scheitert an Louise, die Trotzkistin ist, weil er statt Fahnen zu schwenken lieber Wermut frühstückt. Weshalb Louise ihn verlässt, dann aber einen Goetheforscher heiratet. C`est la vie a la Fauser. So ist das dann auch bei Fausers Krimis. Da ist auch immer einer, der alles will und nichts kriegt. Allenfalls was auf die Fresse. Das Scheitern als Lebensmotto. Nuchali lächelte im Schlaf. Für mich gab es nichts zu lächeln. Ich war achtunddreißig und pleite. Das Scheitern wurde bei Fauser zu einer echten Alternative zum Studienabschluss. I´m a looser baby, so why don´t you kill me.Der Beck-Song hätte Fauser gefallen. Lakonie und Sarkasmus als Stilmittel. Denn wer tatsächlich scheitert, der schreibt ja nicht, der singt nicht, der dreht keine Filme.
Fauser wollte gelesen werden. Er war ein Allesschreiber, ein Vielschreiber. Reportagen, Hörspiele, Gedichte, Romane, Erzählungen. Seine Witwe erzählte mir, die Huren, die durchsoffenen Nächten, die Drogen und Abstürze, das sei alles übertrieben. „Meist saß Jörg in seinem Zimmer und ich hörte das Klappern der Schreibmaschine“. 1984 trat Fauser im ZDF auf. „Einen Schriftsteller, der nicht gelesen wird, den halte ich für eine pathetische und sinnlose Figur“. Solche Sätze sagte er. Dazu trug Fauser einen Anzug, der irgendwie ironisch wirkte. „Writing is my business“, sagte er auch noch. Und alle lachten. Als sei das unverschämt, dass ein Schriftsteller so was sagt.
Vielleicht kam Fauser deshalb auf die Krimis. Weil man Gedichte nicht essen kann. Wobei der Krimi kein schlechtes Genre ist für einen, dem es gleichzeitig um Gerechtigkeit und Auflage geht. Der Krimi teilt die Welt in Gute und Böse auf, gibt ihr Gerechtigkeit. Die es im wahren Leben gar nicht gibt. Fauser brachte als Krimiautor den Journalisten mit dem Schriftsteller zusammen. Als Spezialist für das Reale und das Fiktive. Beides gleichzeitig. Deshalb waren die Guten und Gerechten bei Fauser auch nicht brave sexlose Kommissare, die zu ihrer Sekretärin allenfalls „Rehlein“ sagten, sondern die Verlierer, Spinner, Nutten und Träumer, die auf der Strasse wohnten und sich zärtlich „Drecksau“ nannten. In der Fauser-Journalisten-Generation gab es welche, die wollten die Welt verbessern. Wenigstens ein bisschen. Das schrieb Fauser in seine Storys rein, die ewige Suche nach der ausgleichenden Gerechtigkeit. Dabei nutze er den Krimi als illustre Kulisse, immer garniert von schönen Frauen. Wie James Bond. Allerdings wohnten Fausers Mädchen in Gegenden, wo 007 allenfalls seinen Bentley zu Schrott gefahren hätte. Ein Stilist war Fauser auch. Die verknappte Sprache, das Schnoddrige, nicht so versaut wie Bukowski. Aber immer auf die Zwölf. Immer gute Sprüche. Das Klischee als Klischee, bei vollem Bewusstsein hingeschrieben. Keine Zeit für geräumige Beschreibungen. Sondern Sätze wie Schüsse aus der Magnum. Chandler, nicht Derrick.
Auch bei Fauser siegte am Ende die Gerechtigkeit. Wobei Siegen für Fausers Helden schon hieß, nicht draufzugehen. Der bloße Krimi, der Mord, die Aufklärung, war Fauser zu wenig. Immer hielt er das große Ganze im Blick. Die Thailänderin schlief. Na gut, dachte ich, Deutschland hat noch einen Krieg verloren, aber du liegst im Bett der Sieger. Fauser war nicht der einzige Linke, der Krimis schrieb. Jusos und andere spätere Saabfahrer lasen auch Sjöwall/Walhöö. Aber die waren eher sozialdemokratisch. Also nicht cool. Fauser schrieb in seine Krimis Sätze wie sonst keiner in Deutschland. Weshalb er bis heute ja auch immer wieder neu aufgelegt wird. Als müsste es doch irgendwann noch mal klappen, ihn in der Generation nach Böll und Grass als einen der großen deutschen Nachkriegsschriftsteller durchzudrücken. Und nicht nur als den ewigen Popliteraten.
In seinen 43 Lebensjahren hat Jörg Fauser ein erstaunlich umfangreiches Werk geschaffen. Gleich mit seinem ersten Roman hatte er einen Hit. Der Schneemann. Kommt die Rede auf Fauser und das Gegenüber sieht einen nur ratlos an, dann sagt man: „Der Schneemann, der wurde doch mit Westernhagen verfilmt!“ „Ach der“, sagen die Leute erleichtert, und es ist klar, dass sie Westernhagen und nicht Fauser meinen. Fauser hätte das vielleicht sogar gefallen. Das Bauernschlaue. Die Cleverness der Verlierer, um irgendwie durchzukommen. Immer auf dicke Hose machen. „Ach der!“ Ich presste zwei Pampelmusen aus und mixte den Saft mit Wodka und einem Spritzer Zitrone, viel Eis. Wenn es anfängt, Winter zu werden, darf man nicht am falschen Ende sparen. Neulich wollte ich mal wieder nach der Internetseite von Jörg Fauser sehen. Die hat seine Witwe gepflegt. Postum. Als Fauser starb, gab´s ja noch gar kein Internet. Aber Gabriele Fauser ist inzwischen auch verstorben. Und der Link auf Fausers Homepage ist tot. Vielleicht die digitale Analogie zu den realen Gräbern auf den realen Friedhöfen, die ja auch nach dreißig Jahren abgeräumt werden. Um da einen Anderen zu beerdigen. Im Falle des Jörg Fauser bleibt den Hinterbliebenen das Lesen. Wann schreibt mal wieder jemand einen solchen Satz in einen Krimi? Als die Presslufthämmer mich weckten, träumte ich gerade vom Krieg. (erschienen in der Zeitschrift BÜCHER).
FAUSERTRACKS (2006, Randomhouse Audio), von Jörg Fauser und LEBENdIGITAL (Jochen Rausch/Detlev Cremer) auf Soundcloud anhören: Stardust Motel Hollywood
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